KI und der Käsekringel: Ein Unternehmer kämpft um seinen Erfolg. (KI-Glosse Nr. 2)
Der Käseanteil in den Chipas (herzhaftes paraguayisches Gebäck) ist zu gering. Der Geiz der Bäcker wird auch immer größer. Ich tunke einen trockenen Bogen in meinen Kaffee, damit der Teig wenigstens ein bisschen mürbe wird. Ich gebe zu, sehr schlecht gelaunt zu sein. Es ist mies gelaufen in den letzten Wochen für mich als Unternehmer. Die importierten Hochdruckreiniger sind als Fernost-Plagiate aufgeflogen. Zwei sind schon in Brand geraten, ausgerechnet an einer Tankstelle und in einem privaten Erwachsenenkino direkt am Museo Nacional de Bellas Artes. Und warum musste die Druckerei auf die frischen Etiketten für das vermeintliche Premium-Olivenöl ausgerechnet „Wildfang“ als Herkunftsland drucken. Der Patron einer berüchtigten Gastro-Dynastie hat mich bereits zum Essen einbestellt. Und Bandido, mein treuloser Papagei, hat den Zollbeamten beim Hausbesuch die Kennwortserie meiner Bitcoins verraten. Es wird immer brenzliger. Ich brauche einen Plan B.
In dem Moment, als ein nasser Chipabrocken wegbricht und irgendwo zwischen meinen Zehen verschwindet, blitzt in mir eine rettende Idee auf. Ich werde meine Lebenserfahrungen zu einer Geschäftsidee machen – Coaching für diejenigen, die alles vermasselt haben und nicht wissen, wie es weitergehen soll. Geplatzte Verträge, Titelmissbrauch, Luxus auf Pump, Ärger mit Geldeintreibern, all das und mehr. Zielgruppe: männlich, zwischen 30 und 50 Jahren, mit versteckter Bindungsangst und großspurigem Auftreten. Mit meiner Erfahrung kann ich ihnen hervorragend helfen. Alles, was mein neues Unternehmen noch braucht, ist ein passendes Logo. Hier kommt die Künstliche Intelligenz ins Spiel, meine Geheimwaffe für alle Lebenslagen.
Die Logo-KI fragt gleich nach dem Firmennamen. Ich gebe „Erfolgscoach“ auf meinem Smartphone ein. Der Slogan? „Euch werd' ich's zeigen!“ Die Branche? Ich füttere die KI mit meinem Expertenportfolio: IT, Finanzen, Militäraccessoires, Landwirtschaft, Rohstoffe, Sondermaschinenvertrieb, Kryptowährungen, Immobilien. Und Nachhaltigkeit. Nun fragt die KI nach Markenattributen – sehr clever. Ich wähle „demütig“, „diskret“ und „disruptiv“. Die KI arbeitet vor sich hin, ein Balken nähert sich langsam der 100%-Marke. Ah, das Ergebnis ist da. Ein kreisförmiges Logo, der Firmenname „Erfolgscoach“ oben, der Slogan „Euch werd' ich's zeigen!“ unten, und in der Mitte die Silhouette eines würdevollen Helden! Nun ja, die KI scheint noch nicht perfekt zu sein – vor der Figur verlaufen störende stangenartige Striche mit einem Zylinderschloss-Symbol auf Handhöhe. Irgendwas in mir wird angetriggert. Nun schmecke ich doch etwas Käse raus. Egal, ich schicke eine zweite KI ins Rennen. Diese spuckt sofort ein Logo aus, das verdächtig an die Tarotkarte Nr. 0 erinnert – der Narr, der mit seinem Hündchen am Abgrund balanciert. Ich tippe: „Nochmal!“
Die KI kommt in Fahrt. Die Sprache wechselt auf Englisch, und das vorgeschlagene Logo zeigt einen stolzen Hirsch mit prächtigem Geweih auf quadratischem Grund. Das gefällt mir! Der zweite Vorschlag zeigt einen kernigen Typ! Leute, es wird immer besser. Nun wird es farbenfroher – aber was ist das? Inmitten des Logo sitzt der freche Bandido auf einem Käsekringel! Der kleine Schuft hat sogar die Buchstaben des Logos durcheinandergewürfelt (Bild 3). Vor Schreck fällt mir der letzte Chipasbrocken in den Kaffeebecher. Was für ein Tag. Von der Straße kommen ein paar Familienmitglieder der Gastro-Dynastie auf mich zu. Grimmige Gesichtszüge in meine Richtung, bei denen läuft es wohl auch nicht so gut. Die kommen wie gerufen, an ihnen werde ich gleich mal die neuen Logos testen.
Erstveröffentlichung in: DIE ZEITUNG 02/24 (201), p. 26 (29.02.24)