Menschenbild ohne Menschen: Subjektkonstitution im Spiegel synthetischer Konkurrenz

In der Digitalisierung unserer Lebenswelt sind Menschenbilder gefragt, die tatsächlich „den Menschen“ in den Blick nehmen und digitale Systeme und Prozesse sozialorientiert und menschengerecht gestalten. Leider jedoch sind Verfahren und Vorgehensweisen in Digitalisierungsbemühungen oft für den Menschen blind. Sie sehen ihn nicht, er wird nicht wahrgenommen, zumindest nicht als Mensch. Dieser Befund mag erstaunen, handelt es sich bei den Gestaltern digitaler Systeme doch ebenfalls um Menschen, die in irgendeiner Form lebensweltlich verankert, vernunftbegabt und in ihrer professionellen Tätigkeit reflektiert sein dürften. Angesichts qualitativ mäßiger Resultate von Digitalisierungsprozessen, etwa der Gebrauchstauglichkeit der Corona-App der Bundesregierung von 2020, der Warn-App NINA des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) oder Umsetzungen des Gesetzes zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (OZG) stellt sich auch im Jahr 2021 die aktuelle Frage, welcher Art denn bloß die Menschenbilder sein mögen, an denen sich Konzipierende, Entwickelnde und Organisierende solcher digitaler Systeme und Prozesse orientieren. Und auch wenn die Schaffenden möglicherweise selbst humanistische Menschenbilder in sich tragen, finden diese doch in zu vielen Fällen zu wenig Eintrag in den Ergebnissen – was darauf hindeutet, dass in den angewandten Vorgehensweisen und Verfahren die Orientierung am Menschen irgendwo verloren geht.

WENDLAND, Karsten. Menschenbild ohne Menschen: Subjektkonstitution im Spiegel synthetischer Konkurrenz. In: Wer bist du, Mensch?: Transformationen menschlicher Selbstverständnisse im wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Herder, 2021. S. 240-259.

 

veröffentlicht am 11.08.2023