Musikalische Milchmagie: Die KI-Hymne auf Ziegenjoghurt. (KI-Glosse Nr. 4)

Der Anruf kommt in dem Moment, als ich die Schutzfolie auf das Smartphone sinken lasse. Gabriel ist zehn Jahre vor mir nach Lateinamerika ausgewandert. „Du musst mir helfen, Friedel, bei mir ist landunter“. Das hat er öfter. Diesmal steckt er bis zum Hals in Ziegenmilch. Wegen eines Rechtsstreits musste einer seiner Compañeros das Zeug verschwinden lassen und hat bei Gabriel in diesem Zuge eine alte Schuld beglichen. Win-Win, für ihn selbst. Und bei Gabriel stehen nun 17 Stahltanks frischen gekühlten Geißengolds aus dem argentinischen Catamarca im Hof. Ein ungewöhnlicher Ausgleich für eine gecrashte Zweimotorige. „Soll ich Dir beim Trinken helfen?“. Das Smartphone sieht jetzt aus als hätte es Gefrierbrand. „Ich brauche von dir einen Werbeslogan, mit Musik, rápido!“ Auch das noch. Die Joghurtproduktion ist schon angelaufen. Und niemand kennt das Produkt. Ich spüre ein Déjà-vu, Bilder aus einem Roman von Frédéric Beigbeder blitzen auf – die mussten auch Milchprodukte bewerben und gingen dafür sogar über Leichen. Für Lateinamerika ist das nichts. Aufgelegt. Es ist wie früher. Ich mache mich ans Werk.

Meinen neuen persönlichen KI-Assistenten schildere ich die Lage und erfrage 25 Namensvorschläge für Ziegenjoghurt. Sie kommen prompt, Gewinner sind Tesoro Oculto de Cabra (Der verborgene Schatz der Ziege) und Bendición Breve (Kurzer Segen). In früheren Agenturzeiten hätte ich für soviel Kreativität mindestens drei Latte mit Hafermilch gebraucht. Gekauft. Nun zur Musik. Der KI-Assistent empfiehlt mir eine brandneue KI-App, die auf Basis von Stichwörtern ganze Musikstücke erstellt. Ich beauftrage das Programm mit einem Werbesong für den Ziegenjoghurt Tesoro Oculto de Cabra und betone, das Zeug sei gesund, selten und kostbar. Nach nur einer Minute sind zwei Lieder generiert.

Im ersten Werbesong besingt ein Herr mittleren Alters mit sehnsuchtsgetränkter Stimme eine Ziege auf grüner Wiese. Im Refrain wird es dann schwungvoller und der Joghurt selbst wird gepriesen. Nun ja. Das ist eher ein Minnegesang auf unerreichbare Joghurterlebnisse. Ein echter Kaufimpuls wird hierdurch nicht getriggert. Und wir brauchen keine Sympathisanten, sondern kaufende Kundschaft. Der zweite Song ist schon etwas besser, er beginnt in freudiger latino pop-Stimmung. Ich höre eine junge Frau, die ihre Zufriedenheit nach erfüllter Joghurtverköstigung ausdrucksvoll intoniert: „Früh am Morgen / Wenn die Sonne aufgeht / Schmeckt der Joghurt nach einem süßen Gebet / Aus Ziegenmilch gemacht / So lecker und so zart / Kein anderer Joghurt lässt mein Herz so schnell schlagen hart“. Gut, am Ende der Strophe müsste man noch mal Hand anlegen. Ich sehe die Influencer aber bereits tanzen und sich mit Joghurt bekleckern.

Als nächstes fordere ich eine Umsetzung im Stile traditioneller Latinosongs. Das Ergebnis geht mir unter die Haut. Von zarten Anfangsklängen entfaltet sich das Musikstück instrumental zur gewaltigen Hymne. „Heilige Ziege / So selten und fein / Der Joghurt / Ein Schatz / Der uns gesund macht / Im Verborgenen liegt sein köstlicher Schein / Tesoro Oculto de Cabra / Das ist wahrhaft inbrünstig“. Ein paar Tränen fallen auf mein Smartphone.

Nun fordere ich mehr Action. Und siehe da, die Kaufmotivation hält Eingang in den Text: „Komm in den Supermarkt / Hol dir die Power / Der Joghurt mit Geschmack / Los Gib alles / So wie'n Tiger / Mit Vitaminen geladen / Das gibt dir Energie / Tesoro Oculto de Cabra / Der verborgene Schatz auf dem Siegertreppchen / [Chorus] / Verborgener Schatz der Ziege / Lass uns gemeinsam siegen / Tesoro Oculto de Cabra / Hol dir den Geschmack / Der dich hebt / Kostbar wie Gold / Gesund für dich – erfrischend / Oh jemine / Der Joghurt der Ziege / Lass uns den Schatz genießen“. Ich bin wie im Rausch. Die Folie habe ich vor Aufregung längst abgeknibbelt. Das Smartphone ist nackt. Jetzt noch etwas für die ältere Generation – schon da. Volkstümlich angelegt, die Gesangsstimme eine Mischung aus Freddy Quinn und Karel Gott. „Mit jedem Löffel ein Stückchen Himmel,“ singen sie.

Ich rufe Gabriel an. „Ist fertig“. „Wurde auch Zeit!“. Es ist wie in alten Zeiten. Mein KI-Assistent meldet sich zu Wort. „Sollte das Konzept nicht aufgehen, könnten Ihr den Rücklauf eintrocknen und Gesichtsmasken daraus machen.“ Zustimmungslaute von Gabriel durchs Telefon. Er hat wieder Oberwasser. „Schick Deinen Song an die großen Radiosender, heute Abend soll das schon on air gehen. Ich besorge Influencer und Ziegen, morgen früh drehen wir. Mittags geht es damit direkt in die Sozialen Medien.“ Mein KI-Assistent liefert mir geräuschlos fünf Hashtags, dich ich Gabriel direkt als meine spontanen Ideen verkaufe. „Du bist der Beste, Friedel!“. „Weiß ich doch“, sage ich. ‚Gern geschehen‘, schreibt mein KI-Assistent auf sein Display. Gut wenn man diskrete Freunde hat.

 

Erstveröffentlichung in: DIE ZEITUNG 4/2024 (203), p. 28-29 (30.04.24)

veröffentlicht am 30.04.2024